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Datenlage: Wie GREAT ist die Great Resignation wirklich?

Aktualisiert: 29. Sept. 2022

Alles begann mit der Veröffentlichung der US-amerikanischen Quit Rates, also des Anteils freiwilliger Kündigungen durch Arbeitnehmer*innen in Prozent der arbeitenden Bevölkerung, durch das Bureau of Labor Statistics zur im September 2021. Die Kündigungsrate stieg mehrere Monate hintereinander bei über 3 % (bzw. ca. 4 Mio. Arbeitskräfte), ein Hoch der jüngeren Arbeitsmarktgeschichte. Diese Daten stützten eine Vorhersage von Anthony Klotz (Associate Professor Texas A&M), zu der er in einem Bloomberg-Artikel mit dem Begriff "Great Resignation" zitiert wurde. Nun überschlugen sich die News-Outlets mit Beiträgen zur großen Kündigungswelle und der typische Hype-Cycle brachte das Thema auch nach Deutschland. Beispiele gefällig? Hier die entsprechende Berichterstattung der Zeit, FAZ, Süddeutsche und dem Handelsblatt.


Zugegeben, die Berichterstattung war nicht immer dramatisierend, doch sie erzeugte den Gesamteindruck, dass hier eine riesige Kündigungswelle auf Deutschland zu rast. Verstärkt wurde dieser Eindruck dann noch durch die Nutzung des Themas für aber auch wirklich jeden Salespitch und fast jede Webseite von HR-Softwareanbietern. Und der geht ungefähr so:

"Jeder Xte Mitarbeitende ist wechselwillig (X = möglichst klein, 2 oder sowas). Doch mit [füge beliebigen Toolnamen hier ein] sicherst Du Dich gegen die Great Resignation ab."

Und da ich noch nie ein Tool gesehen habe, dass sowas kann, wurde ich sofort skeptisch. Daher habe ich in Folge 43 von KlartextHR dann auch eher vom Great Salespitch gesprochen. Fakt ist für mich bisher: Die Great Resignation ist eine dramatisch erzählte Geschichte mit gelinde gesagt wackeliger Datenbasis. Also, show me the data. Denn, wie sagte James Love Barksdale (ehem. CEO von Netscape) so schön:

"If all we have is opinions, let's go with mine."
Datenlage: Wie GREAT ist die Great Resignation wirklich?

Zuerst schauen wir uns den Ausgangspunkt der Great Resignation mal genauer an. Jay L. Zagorsky machte bereits im Januar 2022 in seinem Beitrag darauf aufmerksam, dass die Zahlen, Daten und Fakten, das dramatische Bild der Kündigungswelle in den USA nicht wirklich stützen. Sein Kernargument? Im Jahr 2021, dem Beginn der Great Resignation, haben ca. 33% der US-Arbeitskräfte (ohne den Farming-Sektor) den Job gekündigt. Hört sich viel an, oder. Aber in 2019, einem relativ normalen Jahr, waren es 28%. Anders ausgedrückt: Einen Anstieg der Kündigungen um 5 Prozentpunkte (von ca. 70 möglichen) direkt "Great" zu nennen, ist ein Stretch. Zudem zeigt Zagorsky auf, dass der Anstieg des Jahres 2021 sehr wahrscheinlich auf einen überdurchschnittlichen Anstieg der Kündigungen in drei Branchen zurück geht (siehe Abbildung). Menschen des Freizeit- und Servicesektors haben im Pandemiejahr 2021 ja auch nun wirklich jeden Grund gehabt sich sicherere Jobs zu suchen.

Ein weiterer Artikel von Fuller und Kerr im Harvard Business Review bringt weitere interessante Argumente hinzu. Sie zeigen anhand ihrer Datenanalyse, dass die Great Resignation überhaupt nicht über Nacht entstanden ist. Es handelt sich um die zu erwartende Fortsetzung eines linear wachsenden Trends der letzten 10 Jahre (siehe Abbildung). Die Quit Rate hatte von 2009 bis 2019 jedes Jahr eine Zunahme von ungefähr 10% durchlaufen. Wenn wir keine Pandemie gehabt hätten, wären jeweilige 10%-ige Erhöhungen in den Jahren 2020 und 2021 ziemlich genau auf die Zahlen der Great Resignation hinausgelaufen.

Ein weiteres Problem wird deutlich, wenn wir uns die Datenlage zur Great Resignation in Deutschland genauer ansehen. Hierzulande wird die Diskussion zur Great Resignation leider von Studien dominiert, die ausschließlich von Befragungsdaten "gefüttert" werden. Der viel zitertie Global Workforce Survey 2022 von PWC macht die drohende Kündigungswelle daran fest, dass ca. 20% der befragten Personen angeben, dass es "extrem oder sehr wahrscheinlich ist, einen neuen Arbeitgeber in den nächsten 12 Monaten zu finden". Da wir ja bereits wissen, dass eine jährliche Kündigungsrate von 28% in den USA ganz normal ist (siehe oben), habe ich eine konkrete Frage: Wieso sind 20% "wahrscheinliche Wechsel in den nächsten 12 Monaten" jetzt nochmal eine Great Resignation? Das wären schließlich 8 Prozentpunkte weniger als in dem nicht von der Pandemie betroffenen Jahr 2019. Es wären sogar ganze 13 Prozentpunkte weniger als im Jahr 2021, dem Jahr der vermeintlichen Great Resignation.


Ein Blick auf tatsächliche Jobwechsel hilft. Christoph Röttger (IAB) und Enzo Weber (IAB) haben sich die Zahlen tatsächlicher Jobwechsel für Deutschland mal angeschaut und ihre Einschätzung in einem extrem lehrreichen Beitrag für die London School of Economics niedergeschrieben. Die bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Beitrags von Röttger und Weber vorliegenden Zahlen zeigen ihrer Meinung nach kein Anzeichen für eine deutlich erhöhte Anzahl von Jobwechseln auf der gesamten Breite der Wirtschaft. Es zeigt sich aber, dass Menschen jenen Branchen den Rücken kehren, die keine ausreichende Sicherheit in Krisenzeiten liefern. Und die Personen, die in den Krisen der vergangenen Jahre einen neuen, hoffentlich sichereren Job fanden, kommen eben auch nicht so einfach zurück.


Basierend auf dieser Datenlage lautet meine Einschätzung bis zum Zeitpuntk der Veröffentlichung dieses Beitrags: Es gibt keine allgemeine Great Resignation, nicht mal in den USA. Es gibt einen langjährigen Trend hin zu einem Arbeitnehmermarkt. Und die damit gewonnene Verhandlungsmacht ist für viele scheinbar immer noch ungewohnt oder überraschend. Diese Unterscheidung ist wichtig. Denn die hektischen Antworten von Unternehmen auf eine vermeintliche Kündigungswelle verstärken das Problem unnötig. Für die sachliche Verhandlung mit zunehmend selbstbewussteren Arbeitnehmer*innen gibt es hingegen eine Reihe sinnvoller Ansatzpunkte und strategische Stoßrichtungen. In diesem Sinne: Lasst euch nichts erzählen und kauft vor allem keine Software in der Erwartung eine bisher eingeredete Great Resignation zu beenden.

 
 

Additional information: This article reflects my personal views only and is not necessarily the view of the companies, I am associated with.

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